in: R&B 3/2021, S. 23-30, https://institut-ifbb.de/wp-content/uploads/2022/11/WEB_-RB-Heft-03-2021.pdf, modifiziert in: Journal für Waldorfpädagogik, Nov. 2021, S. 22-34, https://www.forschung-waldorf.de/fileadmin/dateien/downloads/JfW/JfW3_Freie_Schule_h.pdf
Die Gefahr rechtsextremer Unterwanderungen von Waldorfschulen ist ein Faktum, mit dem sich betroffene Schulen auseinandergesetzt haben und weiterhin auseinandersetzen müssen. Regionale und überregionale Arbeitskreise von Waldorfschulen sind mit dem Ziel gegründet worden, sich mit dieser Problematik zu befassen. Sie leisten Präventionsarbeit in speziellen Veranstaltungen, bilden ein Forum, um Erfahrungen auszutauschen, und helfen im Akutfall. Auch wenn es sich insgesamt um Einzelphänomene an wenigen Waldorfschulen und -kindergärten handelt, darf daraus nicht der Schluss gezogen werden, diese Gefahr, welche die gesamte Gesellschaft betrifft, zu marginalisieren. Es ist bekanntlich nicht nur die Zivilgesellschaft der Infiltrationsgefahr ausgesetzt, es trifft auch staatliche Institutionen.[1]
Im Folgenden wird in einem historischen Exkurs auf die Steinerrezeption seitens W.G. Haverbecks und dessen Unterwanderungspraktiken außerhalb der Waldorfschulen verwiesen. Dem schließt sich die Entwicklung zur „Stuttgarter Erklärung“ über diskriminierende Äußerungen in Steiners Werk an. Aktuellere Fälle der Unterwanderung von Waldorfschulen werden dann detailliert dargestellt. Daraus werden die komplexen Prozesse nachvollziehbar, wie die Infiltration konkret stattfindet und mit welchen Gegenstrategien ihr dann effektiv begegnet werden konnte bzw. kann.
Die Steinerrezeption von W.G. Haverbeck
Dass es eine rechtsextreme Rezeption Steiners gibt, wurde 1989 deutlich, als Werner Georg Haverbeck sein Buch „Rudolf Steiner – Anwalt für Deutschland“ veröffentlichte. Der zentrale „Sprengsatz“ dieses Werkes ist Haverbecks Aussage, „dass Steiner in der heutigen Zeit die ‚Auschwitz-Lüge‘ […] nicht stillschweigend hingenommen hätte […]“[2] Stefan Leber, damals im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen (BdFWS), hat dieses Buch in der „Erziehungskunst“, der Zeitschrift des BdFWS, rezensiert: „Wer gegen Ende dieses Jahrhunderts, jegliche historische Entwicklung, alles durchlittene Leid und alle Not missachtend, die bei aller ungerechten Behandlung Deutschlands von eben diesem ausgingen, so tut, als ob Auschwitz nicht gewesen wäre, versündigt sich an dem wahren Geist unserer Zeit.“[3]
Haverbeck hatte im Dritten Reich ranghohe Positionen innerhalb der nationalsozialistischen Führung inne, trat nach 1945 in die Anthroposophische Gesellschaft ein, wurde Pfarrer der Christengemeinschaft, die ihn jedoch 1959 aus Anlass einer Reise in die Sowjetunion und nach China beurlaubte. Er nahm Kontakte zur Ökologie- und Friedensbewegung auf und gründete 1963 das Collegium Humanum im ostwestfälischen Vlotho als „Heimvolkshochschule für Umwelt und Lebensschutz“. Von 1974 bis 1982 war er Präsident des rechten, teils rechtsextremen Weltbundes zum Schutze des Lebens. 1975 gelang es ihm, die Bundesverbände von Natur-, Umwelt-, und Lebensschutzgruppen zu dem „Deutschen Rat für Umwelt und Lebensschutz“ zusammenzufassen. Als Schirmherren konnte er den Altbundespräsidenten Gustav Heinemann gewinnen. 1978 wurde er von Erhard Eppler, Mitglied im Bundesvorstand der regierenden SPD, in die Gustav-Heinemann- Initiative berufen und 1979 Berater für Umweltschutzfragen von Egon Bahr, dem Bundesgeschäftsführer der SPD. Interessant ist dabei, dass Haverbeck in der Lage war, neben dem Aufbau eines rechten bis rechtsextremen Netzwerkes, sich in der politischen Mitte auf oberster Ebene zu verankern. Die Wahrnehmung von rechten Positionen scheint, wie wir auch im Weiteren sehen werden, ein Problem zu sein.[4] Mit Beginn der 80iger Jahre entwickelte sich das Collegium Humanum zu einem Treffpunkt für Rechtsextreme und Holocaustleugner, deren gegenwärtige „Ikone“ seine Frau Ursula Haverbeck ist und damit auch immer noch ein Anlaufpunkt für Rechtsextreme. Nach dem Tod ihres Mannes, 1999, leitete sie das Collegium Humanum zusammen mit Bernhard Schaub[5] bis zum Verbot 2008.
1992 veröffentlichte der an einer Schweizer Rudolf-Steiner-Schule tätige Bernhard Schaub ein Buch mit dem Titel „Adler und Rose“, in dem er ebenfalls den Holocaust leugnete. Ihm wurde fristlos gekündigt. Er ist mit dieser Ansicht dann zunehmend in die Öffentlichkeit getreten, vor allem durch die Teilnahme an der großen Holocaustleugner-Konferenz in Teheran 2006, die er zusammen mit NPD-Funktionären besucht hat. 2008 war er einer der Gründer der „Europäischen Aktion“, einem Zusammenschluss von Holocaustleugnern, der sich u.a. für die „Rückwanderung“ aller „Nicht-Europäer“ in ihre Heimatländer einsetzt.
Die Entwicklung der „Stuttgarter Erklärung“
Sensibilisiert durch die Öffentlichkeit, setzte die Anthroposophische Gesellschaft der Niederlande 1996 eine Untersuchungskommission ein, die das gesamte Werk Steiners auf rassistische Äußerungen überprüfen sollte. Das Ergebnis lag im Jahr 2000 vor: „Die Kommission folgert, dass 16 Aussagen Rudolf Steiners – wenn sie heute als eigene Behauptung in der Öffentlichkeit vertreten würden – nach niederländischem Recht wegen ihres diskriminierenden Charakters strafbar wären. […] Die Kommission empfiehlt, diese Stellen aus der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe künftig nur noch kommentiert zu veröffentlichen. Das gilt auch für die Zitate der Gruppe 2 [67 Aussagen, Anm.d.Verf.], die zwar nicht als diskriminierend im Sinne des heutigen Strafrechts eingestuft wurden, die jedoch in der Gefahr stehen, ohne entsprechende Interpretation leicht missverstanden zu werden oder im geringeren Maße als diskriminierend erfahren zu werden […]“.[6] Diese Stellen fanden sich fast ausschließlich in mitstenographierten, von Steiner nicht durchgesehenen Vortragsmitschriften. Von anthroposophischer Seite wurde viel aufgewendet, um zu erklären, dass es sich bei diesen Stellen nicht um rassistische Äußerungen handele. Das war für einen reflektierten, historisch-kritischen Umgang mit diesen Aussagen nicht förderlich. Der Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS) verabschiedete 2007 die „Stuttgarter Erklärung“[7], in der er die diskriminierende Wirkung einzelner Aussagen Steiners einräumte und sich davon distanzierte.
„Rechte“ Schulgründung
2004 hatte sich herausgestellt, dass an der Waldorfschule Braunschweig ein Lehrer mit rechtsradikaler Gesinnung unterrichtete. Deutlich wurde das erst, als er einen Antrag auf Beurlaubung stellte, um für die NPD im sächsischen Landtag arbeiten zu können. Ihm wurde fristlos gekündigt und kurze Zeit danach auch die Schulverträge seiner Kinder. Durch ein Urteil des Landesgerichtes Berlin wurde ihm untersagt, seine geplante Schulgründung als Waldorfschule zu bezeichnen.[8] Den Prozess hatte der BdFWS als klagende Partei veranlasst.
In dieser Zeit liefen die Vorbereitungen zur Gründung der „Waldorfschule Mahlsdorf-Hellersdorf“ durch Britta Hackbusch und ihren Mann Andreas Schöpfer, die dann 2008 erfolgte. 2013 wurde der BdFWS darüber informiert, dass die Genannten und Teile des Schulpersonals mit extrem rechten Einstellungen aufgefallen wären und entsprechende Inhalte in den Unterricht Einzug gehalten hätten. Der BdFWS und die LAG Berlin-Brandenburg wollten den immer noch existierenden Gaststatus der Schule nicht verlängern, worauf die Schule selbst den Vertrag mit der LAG kündigte. Die Schule nannte sich daraufhin „Freie Schule am Elsengrund“, verwendete für ihre Pädagogik aber weiterhin den Namen Rudolf Steiner. Es gab Hinweise darauf, dass Kontakte zu Bernhard Schaub bestünden und ein oder zwei seiner Kinder zu dieser Zeit die Schule besuchten. 2018 soll er einen Kurs für Lehrer der Schule gegeben haben. Auch der rechtsradikale „Volkslehrer“ Nikolai Nerling hat eine Veranstaltung der Schule besucht.[9] Erst 2021 wurde durch einen Bericht des WDR, in dem ein ehemaliges Vorstandsmitglied über die Vorgänge an der Schule berichtete, die Schule überprüft, Hackbusch und ihrem Mann wurde gekündigt. Die Probleme sind aber nach aktuellen Berichten des Berliner Tagesspiegels und der Süddeutschen Zeitung immer noch nicht vollständig behoben.
Aktuelle Fälle
Im April 2015 entdeckten Schüler*innen an der Freien Waldorfschule Minden in Ostwestalen, dass einer ihrer Lehrer im Vorstand der Ahnenstätte Conneforde war. Es handelte sich um Wolf-Dieter Schröppe, der 1994 als Hausmeister begonnen, kurze Zeit später Werklehrer geworden war und 2015 eine zentrale Rolle in Schulleitungsgremien innehatte.
Er ist in Argentinien, San Carlos di Bariloche, aufgewachsen, einer deutschen Enklave, in der viele Anhänger des Dritten Reiches lebten. Der Prominenteste war der Kriegsverbrecher Erich Priebke. Er war Ehrenvorsitzender des Instituto Primo Capraro, der deutschen Schule, die auch das Aushängeschild des Ortes war. Zu dieser Schulgemeinschaft gehörte auch Schröppe mit seiner Familie. Anfang der neunziger Jahre zog er nach Deutschland, um „seine Kinder vor einer zunehmenden Überfremdung des dortigen Deutschtums zu bewahren“.[10] In der Zeit von 1995 bis 2003 hatte Schröppe Texte in Verlagen oder Organisationen veröffentlicht, die als rechtsnational bis rechtsextrem eingestuft werden. In diesen Texten würdigt er zum Teil ausgewiesene Nationalsozialisten. Dabei bezieht er eindeutig antisemitische, völkische und rechtsextreme Positionen. Außerdem war er Mitglied im Bund Deutscher Unitarier – Gemeinschaft Europäischen Geistes e.V. und, wie schon erwähnt, Vorsitzender der Ahnenstätte Conneforde e.V., einem der rechten bis rechtsextremen Szene zuzuordnenden Verein. Dieser wurde von 1989 bis zu seinem Tod im Oktober 2009 von dem Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger geführt, der auch Landesvorsitzender der Hamburger NPD und stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD war und in der Neonazi-Szene rechtsextreme Netzwerk-Aktivitäten entfaltete. Auf regionaler Ebene ist sie in sogenannte Gefährtschaften gegliedert. Die Mitgliedschaft ist nach rassistischen Gesichtspunkten geregelt. Nur „nordentstammte“ Menschen können Mitglied werden. Bei dem Treffen der Artgemeinschaft, an dem nachweislich Schröppe teilgenommen hat, war auch Maik Emminger, der Bruder des im NSU-Prozess angeklagten André Emminger.
Der Artikel, durch den die Schüler*innen auf die Mitgliedschaft Schröppes in der Ahnenstätte Conneforde aufmerksam wurden, weist daraufhin, dass es sich um einen Friedhof handelt, auf dem Nationalsozialisten begraben sind und der von Rechtsextremen geführt wird. Außerdem werden in diesem Artikel Texte von Schröppe erwähnt, die er in rechten Zeitschriften veröffentlicht hat. Die Schüler*innen teilten ihre Entdeckung einer Lehrerin mit. Daraufhin informierte Schröppe einen Lehrer und bat ihn um Unterstützung bei der Aufklärung. Dieser nahm Kontakt zum BdFWS auf, wo sich der Justiziar Martin Malcherek speziell der Sache annahm. Er begann mit der Recherche, ebenso einige Eltern, die Kontakt zu Andrea Röpke hergestellt hatten, die als Journalistin vor allem im Bereich des Rechtsextremismus recherchiert. Außerdem bemühten sich diese Eltern um eine Zusammenarbeit der Schule mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Die Einschätzung der Mobilen Beratung zu Schröppes Texten lautet folgendermaßen:
„Die Texte enthalten keine klassischen NS-Positionen, keine antisemitischen Ausfälle und auch keine ausdrücklich demokratiefeindlichen Inhalte. Allerdings finden sich Rekurse auf NS-Wegbereiter und NS-Sympathisanten wie Wilhelm Teudt und Knut Hamsun. Sowohl in den Einzelbeiträgen als auch im Gesamtkorpus werden wesentliche Ideologeme und Deutungsmuster des völkischen Denkens reproduziert und propagiert.“[11]
Der BdFWS hatte aus dem Bericht der Mobilen Beratung, den Recherchen und einem Gespräch mit Schröppe, in dem dieser die Vorwürfe nicht ausräumen konnte, den Schluss gezogen, die Schule müsse ihn entlassen. Sollte das nicht erfolgen, würde ihr das Recht, den Namen Waldorfschule zu führen, entzogen. Sie ist dieser Aufforderung dann gefolgt. Nach den Sommerferien wurde eine Zusammenarbeit mit der Mobilen Beratung beschlossen und für den Aufklärungsprozess eine Steuerungsgruppe gebildet aus Lehrern, Eltern und Vertretern der Mobilen Beratung sowie einem Vertreter des BdFWS und der Landesarbeitsgemeinschaft NRW. Auf Veranlassung der Mobilen Beratung war eine Podiumsdiskussion zur Frage von Rassismus an Waldorfschulen angesetzt worden. Die Auseinandersetzung mit der Schule spitzte sich danach zu mit dem Ergebnis, dass die LAG die Mitgliedschaft der Schule für ein Jahr ruhen ließ. Es würde eine kleine Gruppe aus Mitgliedern der LAG und der Mindener Schule gebildet, die die Probleme aufarbeitete. Die Mindener Schule wurde mit Beginn des Schuljahres 2017/18 wieder als Mitglied aufgenommen.
Rechtstendenziöse Rezeptionen
In diesen Kontext gehören folgende Ereignisse. Die Frankfurter Buchmesse im Herbst 2017 war auch in Punkto Rechtsextreme von besonderem Interesse: Am Stand des Antaios-Verlags kam es zu einem Eklat zwischen Rechten und Linken. Anlass war die Vorstellung des Buches von Caroline Sommerfeld „Mit Linken leben“. Sie ist Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung und war zu dieser Zeit noch ehrenamtlich in der Küche der Wiener Waldorfschule engagiert, auf die auch ihre beiden Söhne gingen. Nach längeren Auseinandersetzungen wurden die Schulverträge der Kinder aufgelöst, was in der Presse kontrovers dargestellt und beurteilt wurde.[12] Im April 2019 veröffentlichte Sommerfeld ihr zweites Buch: „Wir erziehen“.[13] Dabei geht sie tendenziös auf Maria Montessori, Peter Petersen und Rudolf Steiner ein. Steiner stellt sie als „völkischen Denker“ dar und empfiehlt ausdrücklich die Waldorfschule für Rechte, wo eine Integration ins eigene Volkstum aktiv betrieben werde und eine klare Unterscheidung in das eigene Volk und die Fremden erfolge.
Eine verzerrte Rezeption der Waldorfpädagogik ist auch in der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ erfolgt. Zum hundertjährigen Jubiläum der Waldorfschulen lobte dort Heino Bosselmann Steiners Pädagogik. Seine anderen Bezüge sind ebenfalls Peter Petersen und Maria Montessori. Ganz besonders hob er die Rolle des Klassenlehrers hervor: „[…] in den Klassen eins bis acht wird durch einen Klassenlehrer, der zudem alle Hauptfächer unterrichtet, deutlich und charismatisch geführt. Ihm obliegt eine enorme Verantwortung, um das Prinzip Autorität und Nachfolge zu gestalten.“[14] Führung und Nachfolge (Gefolgschaft) sind, wie auch für Caroline Sommerfeld, die zentralen Begriffe. Es sei kurz klargestellt, dass es in der Waldorfpädagogik nicht um Nachfolge, sondern um Nachahmung geht, zwei völlig verschiedene Prinzipien, zumal die Nachahmung ein Entwicklungsschritt in der Persönlichkeitsentwicklung ist, der dann von einem Verhältnis der jugendlichen Schüler*innen mit den Lehrer*innen als Lernbegleitende abgelöst werden muss – ein Schritt zur Entwicklung der autonomen Persönlichkeit.
Arbeitskreis „Waldorfschulen gegen Rechtsextremismus“ – Tätigkeitsfelder
Da absehbar war, dass die Probleme, die sich an der Freien Waldorfschule in Minden manifestiert hatten, einer intensiven Auseinandersetzung bedürften, gründeten W. Bialik und M. Schulze seitens der LAG im Mai 2017 den „Arbeitskreis Waldorfschulen gegen Rechtsextremismus in NRW“ und waren auch die Initiatoren eines bundesweiten AK (Waldorfschulen für eine offene Gesellschaft — gegen politischen Extremismus und Populismus). Im Oktober 2017 begann dessen Arbeit, wobei schon bei dem ersten Treffen deutlich wurde, dass damit bewusst ein Forum geschaffen war, auf dem rechtsextreme Aktivitäten an Schulen thematisiert werden konnten: ein Hakenkreuz in einer Schule, Einschaltung des Staatsschutzes, Aktivitäten von Reichsbürgern, rassistische Sprüche von Schülern, Lehrern und Eltern etc. Im weiteren Verlauf der Treffen wurde von rechtsextremen Chats von Schülern mit Einschaltung der Staatsanwaltschaft, von Holocaustleugnung in der Elternschaft und der Zunahme der Formulierung rechter Positionen von Schülern berichtet.
Auf einem Treffen des Arbeitskreises im Februar 2018 in Hamburg mit Mitgliedern aus den LAGs Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wurde von vielen rechten Aktivitäten an Kindergärten und Schulen berichtet. Dabei war ein auffälliges Merkmal, dass nach dem Eindruck der Teilnehmenden rechte Aktivitäten häufig verharmlost wurden. Außerdem wurde auf ein besonderes Phänomen hingewiesen: die Völkischen Siedler. Von ihrem äußeren Erscheinungsbild eher an linke Ökos erinnernd, „harmlos“, sich als nette, hilfsbereite Nachbarn gebend, kaufen sie in strukturschwachen Gebieten verlassene Höfe, ziehen dort mit möglichst vielen Personen ein, pflegen eine merkwürdig althergebrachte Lebensweise, mit dem erst langsam deutlich werdenden Merkmal, Menschen mit „Migrationshintergrund“ und solche mit gesellschaftspolitisch fortschrittlichen Ansichten auszugrenzen: ein rechtes, völkisches, teilweise rechtsextremes Weltbild.
An den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz im Spätsommer 2018 nahm eine Familie teil, deren Kinder die Waldorfschule in Detmold besuchten. Klassenkameraden hatten ihre Mitschüler in den Medienberichten erkannt. Die Schule wandte sich an den Arbeitskreis und die Mobile Beratung und so konnte bei den auftretenden massiven Problemen auch rechtlich effektive Hilfestellung geleistet werden. Die Schule organisierte selbst eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wie gefährdet ist unsere Demokratie?“ Sie fand in Zusammenarbeit mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und Vertretern der Stadt Detmold statt – ein Zeichen gegen die rechtsextreme Familie und ihre Sympathisanten an dieser Schule. Im weiteren Verlauf kam es zu gewalttätigen Übergriffen der rechtsextremen Familie auf eine Familie, deren Kind in einer Klasse mit einem der Söhne war, was letztlich auch zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führte. Ehemalige Eltern der Mindener Schule organisierten einen Vortrag von Andrea Röpke in Detmold über Völkische Siedler. Die Probleme, die sich durch die Völkischen Siedler gesamtgesellschaftlich zeigen, sind auch an den beiden genannten Waldorfschulen in unterschiedlicher Weise deutlich geworden.[15]
Ein Thementag mit dem Titel „Gegen Rechtsextremismus vorgehen“, wurde als Onlineveranstaltung des AK ‘offene Gesellschaft‘ im November 2020 durchgeführt. Eingeleitet wurde er durch M. Schulze, der auf die Kritik der Zeit-Journalisten Annika Brockschmidt anlässlich der Anti-Corona-Demonstration Ende August in Berlin einging und die Rassismusvorwürfe auf dem Hintergrund der Wurzelrassenlehre der Theosophie und rassistischen Vorstellungen der Biologie zur Jahrhundertwende thematisierte, die bis zur Ausbildung des Sozialdarwinismus reichten.[16] Den Hauptvortrag hielt Andreas Speit, Co-Autor des Buches „Völkische Landnahme“ über die völkischen Siedler, zusammen mit Andrea Röpke verfasst. In den nachfolgenden Arbeitsgruppen wurde die Problematik Rechtsextremismus in Beziehung zur Waldorfschule in verschiedenen Bereichen thematisiert, wobei viele Hinweise von Eltern und Studierenden auf rassistische Äußerungen und rassistisches Verhalten kamen.
Am 19. Februar 2021 folgte ein Themenabend: „Umgang mit Corona: Impfskepsis, Querdenken, Klagepaten – ein Einfallstor für Populisten und Rechte an Waldorfschulen?“ M. Schulze referierte über das Virus[17], A. Hüttig über Steiners Position zum Impfen[18] und M. Malcherek über Querdenker, Klagepaten und die Frage des Anteils der Rechten bei den Coronaprotesten. Der Abend hatte etwa 400 Teilnehmer. Einerseits gab es sehr positive Resonanzen, andererseits erfolgten von einer kleinen Gruppe massive Angriffe auf die Referenten im Chat, die wissenschafts- und demokratiefeindliche Ansichten zeigten.
Im Mai 2020 kam eine Anfrage von Caterina Woj vom WDR, die zusammen mit Andrea Röpke an dem Film: „Wie Rechtsextremisten Freie Schulen unterwandern“ arbeitete, der am 27.1.2021 im WDR ausgestrahlt wurde. Das mündete in Interviews, die Frau Woj mit Mitgliedern des AK geführt hat und in denen die Bekämpfung von Rechtsextremismus als ernsthaftes Anliegen deutlich wurde. Wesentlichen Raum in dem Film nimmt die Dokumentation der Vorgänge in Minden ein. Einen regelrechten Erfolg hatte der Film in der Bearbeitung der Problematik der Freien Schule am Elsengrund, die dazu geführt hat, die rechtsextreme Leitung der Schule zu verweisen (Süddeutsche Zeitung, 23.4. 2021). Das lag vor allem daran, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied bereit war, vor der Kamera auszusagen. Die alte Schulleitung war juristisch gegen ihn vorgegangen, wobei einzelne Mitglieder des AK ihn neben anderen finanziell für die juristische Hilfe unterstützt haben.
Aufgrund einer Anfrage der Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus in Halle (Saale), einer Beratungsstelle des „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V.“, steht die Teilnahme an einer Fachtagung für pädagogisches Personal zum Umgang mit Kindern von extrem rechten Eltern an. Das hängt mit Hinweisen auf Lehrer mit Kontakten ins rechtsextreme Milieu an einer Waldorfschule zusammen.
Abschließend ist hervorzuheben, dass sich zunehmend Arbeitskreise gegen Rechts an einzelnen Waldorfschulen und in Bundesländern bilden, die sich vernetzen, denn die Gefahr der Unterwanderung ist und bleibt eine akute Herausforderung.
- Vgl. Jens Rosbach, Unterwanderte Zivilgesellschaft. Wie Rechte versuchen, Vereine und Verbände zu infiltrieren, 10. 10.2020, https://www.deutschlandfunk.de/unterwanderte-zivilgesellschaft-wie-rechte-versuchen724.de.html?dram:article_id=485576; SEK Frankfurt wird aufgelöst, 10.6.2021, Pressestelle: Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, https://innen.hessen.de/presse/pressemitteilung/sek-frankfurt-wird-aufgeloest ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Georg_Haverbeck ↑
- Stefan Leber: Rudolf Steiner, die Kriegsschuld und das Dritte Reich. In: Erziehungskunst, 11/1989, S.1006 f. ↑
- Bernd J. Wagner: Werner Georg Haverbeck: Ein Bericht. Gutachten, aufgestellt im Auftrag der Fachhochschule Bielefeld, 2008, https://www.fh-bielefeld.de/presse/archiv/werner-georg-haverbeck ↑
- https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schaub ↑
- Ramon Brüll und Jens Heisterkamp: Rudolf Steiner und das Thema Rassismus. Frankfurt 2008, S.46 f. ↑
- https://www.waldorfschule.de/fileadmin/downloads/Erklaerungen/Stuttgarter-Erklaerung_11_2020.pdf, Vgl. David Marc Hoffmann, Zu den Konsequenzen des Rassismusvorwurfs für die Rudolf Steiner Gesamtausgabe, in: Albrecht Hüttig (Hrsg.), Kontroversen zum Rassismusvorwurf. Der Diskurs über Rassismus – Rassismus bei Steiner? – Steiners Werk: Editionsgrundsätze, Berlin 2017, S. 77 ff. ↑
- Landgericht Berlin, Urteil vom 3.7.2008, 52 O 561/07 ↑
- Vgl. https://kontrapolis.info/2051/ ↑
- Andrea Röpke, Andreas Speit: Völkische Landnahme. Berlin 2019, S. 173 ↑
- Der Autor Wolf-Dieter Schröppe. Netzwerk und Textproduktion. Vorgelegt von Frederic Clasmeier und Dr. Karsten Wilke. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Detmold, 22. Juni 2015 ↑
- Lethen und Sommerfeld: Die große Inszenierung, Volker Weiss, 3.2.2019, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten /lethen-und-sommerfeld-und-der-vorwurf-der-sippenhaft-16020233.html?printPagedArticle=true# pageIndex_0 ↑
- Caroline Sommerfeld: Wir erziehen. Zehn Grundsätze. Schnellroda 2019 ↑
- Heino Bosselmann: Hinaus ins Licht. In: Junge Freiheit, Nr.37, 6.September 2019 ↑
- Vgl. auch Andrea Röpke, Andreas Speit: Völkische Landnahme. Berlin 2019 ↑
- Gegen Rechtsextremismus vorgehen (Markus Schulze, Januar 2021): https://www.erziehungskunst.de/artikel/zeichen-der-zeit/gegen-rechtsextremismus-vorgehen/ ↑
- Sensibles Zusammenleben, Viren, SARS-CoV-2 und wir (Markus Schulze, Dezember 2020): https://www.erziehungskunst.de/nachrichten/pandemie/sensibles-zusammenleben-bakterien-viren-sars-cov-2-und-wir/ ↑
- Anstöße zur Urteilsbildung in Zeiten der Coronapandemie (Albrecht Hüttig, Januar 2021): https://www.erziehungskunst.de/nachrichten/pandemie/anstoesse-zur-urteilsbildung-in-zeiten-der-coronapandemie/ ↑
Von Markus Schulze
